Autorenspiegel
1949 | geboren in Rotenburg/Wümme |
1968 | Abitur an einem Naturwissenschaftlichen Gymnasium in Celle |
1968–1969 | studium generale am Leibniz-Kolleg in Tübingen |
1969 | Jura-Studium in Tübingen, seit 1971 in Göttingen |
1972 | Abbruch des Jurastudiums, verschiedene Gelegenheitsjobs als Kellnerin und Verkäuferin |
1973–1974 | Arbeit als
“Bezugsperson” in einem
Kinderladen |
1974/77 | Studium der Erziehungswissenschaft in Göttingen |
1946 | geboren in Stuttgart; aufgewachsen in Stuttgart (bis 1963) und Frankfurt | |
1966/67 | Ziviler Ersatzdienst | |
1967/74 | Studium der Erziehungswissenschaft, Soziologie, Psychologie und Rechtswissenschaft in Frankfurt | |
1973 | Diplom in Pädagogik | |
1974/77 | Wiss. Assistent am der |
1928 | geboren in Berlin |
1944/48 | Luftwaffenhelfer, Gefangenschaft, Abitur |
1948/50 | Studium an der |
1950/52 | Volksschullehrer in Bremen |
1952/58 | Studium der Pädagogik, Soziologie und Literaturwissenschaft in Hamburg und Göttingen, Promotion |
1958/65 | Wissenschaftlicher Assistent bzw. Akademischer Rat in Göttingen und Berlin () |
1965/77 | Prof. für Pädagogik an der (1965) und an den (1966), (1969) und (1972) |
1943 | geboren in Frankfurt |
1963 | Abitur |
1963–1968 | Studium der Germanistik, Geschichte, Philosophie, Staatsexamen |
1969–1978 | Studium der Erziehungswissenschaften in Frankfurt, Tutor |
1972/77 | Wiss. Assistent am Pädagogischen Seminar der Universität Göttingen |
Studierhinweise
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–[V46:7] Grundprobleme pädagogischer Theoriebildung (Kurs: Einführung in die pädagogische Theoriebildung 1 und 2)
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–[V46:8] anthropologische Grundkenntnisse (Kurs: Einführung in die Anthropologie der Erziehung 1 und 3)
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–[V46:9] Grundkenntnisse von Methoden erziehungswissenschaftlicher Forschung.
Kursübersicht
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1.[V46:13] Einleitung
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2.[V46:14] Zur Geschichte der Kritischen Theorie
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3.[V46:15]“Traditionelle”und“kritische”Theorie
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1.[V46:18] Zur Thematik der Kritischen Theorie und ihrer pädagogischen Relevanz
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2.[V46:19] Zur Methode der Kritischen Theorie
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3.[V46:20] Utopie und Ideologie: Zur Normativitätsproblematik
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1.[V46:22] Erziehung als Interaktion
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2.[V46:23] Probleme einer kritischen Didaktik
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3.[V46:24] Zur Methodologie erziehungswissenschaftlicher Forschung
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1.[V46:26] Abweichendes Verhalten – Normalität und Anormalität
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2.[V46:27] Moralische Erziehung – postkonventionelle Moral
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3.[V46:28] Ästhetische Erziehung – kritische Produktivität
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4.[V46:29] Grundregeln des Erziehungshandelns – Erziehung als Vergesellschaftung
Lernziele zum Gesamtkurs
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–[V46:31] die für die“Kritische Theorie”charakteristische Kombination von philosophischen und gesellschaftstheoretischen Fragestellungen kennen;
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–[V46:32] die Bedeutsamkeit dieser Fragestellungen für das pädagogische Handeln und seine Ziele, für die Auswahl der Thematik und für die Methoden erziehungswissenschaftlicher Forschung diskutieren können;
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–[V46:33] die Aufnahme und Verarbeitung der Kritischen Theorie in der gegenwärtigen erziehungswissenschaftlichen Diskussion kennen und beurteilen können;
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–[V46:35] Vorstellungen von einer Form des Umgangs mit sich selbst und einer Erziehungspraxis entwickeln können, die mit jener Theorie übereinstimmt.
Literaturverzeichnis zum Gesamtkurs
Einführende bzw. grundlegende Literatur (zur Anschaffung empfohlen)
Grundlegende Literatur (Originaltexte der Kritischen Theorie)
Weiterführende Literatur
Texte zu erziehungswissenschaftlichen Fragestellungen
Literaturverzeichnis zur Einheit I
Einführende Literatur (zur Anschaffung empfohlen)
Grundlegende Originaltexte der Kritischen Theorie
Darstellungen und Kritiken
Weiterführende, theoretisch und praktisch relevante Literatur
Nachschlagewerke
Lernziele
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–[V46:185] etwas über die historische Situation, in der die Rezeption der Kritischen Theorie für die Erziehungswissenschaften relevant wurde, sagen können,
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–[V46:186] den Zusammenhang zentraler Begriffe der Kritischen Theorie verstehen können,
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–[V46:187] den Unterschied von Kritischer und Traditioneller Theorie bezeichnen können,
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–[V46:188] die gesellschaftliche Funktion von Theorie als relevante Fragestellung begründen können,
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–[V46:189] die historische Determination Ihres eigenen Denkens zum Gegenstand Ihrer Reflexion machen können,
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–[V46:190] versuchen, die pädagogischen Handlungsziele als geschichtliche Erscheinungen zu begründen.
1. Einleitung
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1.[V46:191b] Wir wollen prüfen, ob der Typus von Gesellschaftstheorie, der in der Zeit des herannahenden Faschismus im unter dem Namen“Kritische Theorie”entwickelt wurde, geeignet ist, auch der Wissenschaft von der Erziehung als theoretischer Ausgangspunkt zu dienen.
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2.[V46:191c] Wir wollen ferner prüfen, inwieweit Erziehungswissenschaftler bisher jene‘Kritische Theorie’in ihrem Denken verwendet haben.
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3.[V46:191d] Wir wollen schließlich diskutieren, mit welchem Recht solche Erziehungswissenschaftler sich auf die‘Kritische Theorie’berufen.
1.1 Einige geschichtliche Motive
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–[V46:196] Sie hatten (ungefähr zwischen 1926 und 1930 geboren) den Faschismus noch in seiner letzten Phase bewußt erlebt, in der Zwangsjacke der“”, als Luftwaffenhelfer, als Soldaten faschistische Gewalt am eigenen Leibe erlebt oder über ihre Eltern und Freunde kennengelernt.
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–[V46:197] Sie hatten, als sie genötigt waren, die Ausbildung zur Hochschulreife nach Beendigung des Krieges zu Ende zu führen, die politische Hilflosigkeit ihrer Lehrer erfahren. Diese Pädagogen verleugneten plötzlich, was sie gestern noch gelehrt hatten, oder sie versuchten, wo sie ehrlich mit sich und ihren Schülern waren – das moralische, politische und argumentative Dilemma ihrer gesellschaftlichen Existenz offenzulegen.
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–[V46:198] Sie hatten teils bei Hochschullehrern studiert (, , , , u.a.), die selbst Antifaschisten waren und die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in der Emigration, in Konzentrationslagern oder im Widerstand verbracht haben.
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–[V46:199] Sie hatten schließlich – diesen Erfahrungen folgend – ein zunächst vorwiegend praktisches Berufsinteresse: Sie wurden, ehe sie an der Universität wiederum ihre wissenschaftlichen Studien fortsetzten, Lehrer an Volks- und Berufsschulen (z.B. , , , Mollenhauer, ), um die Probleme der pädagogischen Praxis zu erfahren und ihre Vorstellungen in der pädagogischen Praxis zu gestalten.
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–[V46:201] Die ungebrochene Fortsetzung der geisteswissenschaftlichen Pädagogik, die die gesellschaftliche Praxis nur interpretierte, und zwar ohne ihren gesellschaftlichen Charakter zu zeigen;
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–[V46:202] Die normative Weltanschauungspädagogik, die im Faschismus ihre brutalste Pointe gebildet hatte und sich nun unter verschiedenen Namen (konfessionellen, existenzphilosophischen, ideengeschichtlichen, ja selbst empirischen) wiederum empfahl. In ihrem Apell, an die ausländische Tradition der Erziehung anzuknüpfen, versuchte sie, zum‘sittlich Guten’in der Erziehung auffordern, ohne die Bedingungen herauszufinden, unter denen diese‘sittliche Verpflichtung’eingehalten werden konnte. Letzten Endes konnte sie kein anderes als ein dogmatisches Verständnis von Erziehung und Erziehungswissenschaft produzieren.
1.2 Eine theoretische Anregung
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–[V46:243] analytisch ist,
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–[V46:244] historisch argumentiert,
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–[V46:245] die gesellschaftliche Geformtheit jedes Gegenstandes betont,
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–[V46:246] die vielfältigen widersprüchlichen Verknüpfungen hervorhebt.
1.3 Einige historische Zusammenhänge
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–[V46:256] die Krise des politischen Systems, der demokratitischen Legitimation von Macht und Herrschaft,
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–[V46:257] die Krise des ökonomischen Systems, das nicht mehr als liberale‘Konkurrenzwirtschaft’sondern als zunehmende‘Monopolwirtschaft’zu beschreiben war,
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–[V46:258] die Polarisierung der sozialen Kräfte, die sich als verstärkte Klassenauseinandersetzung bemerkbar machte,
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–[V46:259] die theoretische und praktische Handlungsunfähigkeit der Arbeiterklasse, die innerhalb des bürgerlichen Staates die Ideen von Freiheit und Gleichheit erkämpfen sollten
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–[V46:260] und später das Aufkommen irrationaler Ideologien, wie sie durch die vertreten wurden und die sich als massenwirksam erwiesen.
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–[V46:270] sich selbst und ihre Methoden als gesellschaftlich produzierte zu begreifen,
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–[V46:271] geschlossenen Theorien mit universalem Wahrheitsanspruch kritisch gegenüberzustehen,
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–[V46:272] empirische Sachverhalte innerhalb eines Begriffs von gesellschaftlicher Totalität zu formulieren,
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–[V46:273]“parteilich”zu sein, in dem Sinne, daß sie sich konsequent mit den fundamentalen und“vernünftigen”Bedürfnissen der Menschen auseinandersetzte.
1.4 Überlegungen zu einem kritischen Konzept von Erziehungswissenschaft
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–[V46:204] theoretische Konsequenzen aus der Erfahrung mit der geschichtlichen Praxis zu ziehen; die Fragezu beantworten, wohin denndie Geschichte laufen sollte und wie vor dieser Geschichte Handlungsziele zu verantworten sind;;
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–[V46:205] solche Konsequenzen mit den Mitteln der gesellschaftlichen Analyse pädagogischer Praxis zu erarbeiten, also auch die hermeneutische Erfahrung der geisteswissenschaftlichen Pädagogik nicht zu verleugnen;
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–[V46:206] sich sozialwissenschaftlich-empirischer Verfahren zu bedienen; denn nur unter dieser Voraussetzung konnte die Hoffnung bestehen, die Ursachen und vielfältigen Zwischenglieder zur Erklärung des Dilemmas der gegenwärtigen Erziehungs- und Bildungspraxis aufzudecken: nämlich daß man sich in Deutschland (Ost und West) abermals aufmachte, die Rede von einer – am Begriff eines möglichen qualitativ-demokratischen Fortschritts gemessen –“verspäteten Nation”(Plessner) zu bestätigen.
(H. Blankertz: Pädagogik unter wissenschaftstheoretischer Kritik. In: Erziehungswissenschaft 1971 zwischen Herkunft und Zukunft der Gesellschaft . S. Oppolzer (Hrsg.), Wuppertal/ Ratingen 1971, S. 30)
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–[V46:276] zur politisch-gesellschaftlichen Orientierung der Erziehungswissenschaft und eine
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–[V46:277] erfahrungswissenschaftliche Orientierung
2 Zur Geschichte der Kritischen Theorie
2.1 Vorbemerkung
2.2 Geschichte des
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–[V46:299] sich damit zu befassen, inwieweit sich denn diese Verhältnisse noch adäquat mit der Marxschen Theorie erfassen ließen,
- |B 35|
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–[V46:300] wie denn nun das Verhältnis von Bewußtsein und revolutionärer Praxis zu beschreiben sei. Nach den Erfahrungen konnte es kaum als mechanisches Verhältnis, wie es teilweise von den sozialistischen Parteien aufgefaßt wurde, begriffen werden.
Inhalt | |
I Aufsätze | Seite |
Vorwort | I |
Bemerkungen über Wissenschaft und Krise |
1 |
Die gegenwärtige Lage des Kapitalismus und die Aussichten einer planwirtschaftlichen Neuordnung |
8 |
Die Wert-Preis-Transformation bei und das Krisenproblem |
55 |
Zur gesellschaftlichen Lage der Literatur |
85 |
Zur gesellschaftlichen Lage der Musik (Teil 1) |
103 |
Geschichte der Psychologie |
125 |
Die psychoanalytische Charakterologie und ihre Bedeutung fpr die Sozialpsychologie |
253 |
Zur Soziologie des amerikanischen Parteiensystems |
278 |
Zur Soziologie des mechanistischen Weltbildes |
311 |
Zum Problem der Freizeitgestaltung |
336 |
Zur gesellschaftlichen Lage der Musik (Teil 2) |
356 |
(Zeitschrift für Sozialforschung, Hrsg.: M. Horkheimer, 1. Jg. 1032, DTW Repront 1980) |
2.3 Auseinandersetzung mit dem Faschismus
(Horkheimer, Vernunft und Selbsterhaltung, S. 27).
(Marcuse, Kultur und Gesellschaft , Bd. I, S. 32)
3. Traditionelle und Kritische Theorie
3.1 Vorbemerkung
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–[V46:413] Wissenschaft als gesellschaftliche Tätigkeit begriffen wird,
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–[V46:414] diese gesellschaftliche Tätigkeit durch die Form ihrer Theorie, nämlich als traditionelle, von Wissenschaftlern nicht mehr als gesellschaftliche, sondern nur als individuelle Tätigkeit verstanden wird,
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–[V46:415] deswegen eine‘Kritische Theorie’gerade die Produktionsbedingungen von Theorie und Wissenschaft reflektieren muß.
3.2 Wissenschaft in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung
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1.[V46:347] Genesis und Wirkung (Entstehungs- und Verwertungszusammenhang) wissenschaftlicher Erkenntnis werden vernachlässigt. Dagegen will die Kritische Theorie die sich durchsetzende wechselseitige Abhängigkeit von Therapieproduktion und gesellschaftlicher Entwicklung, von unerkannter Parteilichkeit der Theorie und theoretisch nicht reflektierter gesellschaftlicher Folgen der Anwendung ihrer Ergebnisse durchbrechen.
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2.[V46:348] Die Forschungstätigkeit bleibt fachspezifisch beschränkt; damit werden die Untersuchungsgegenstände aus ihrem Realzusammenhang herausgelöst. Ohne die Berechtigung fachwissenschaftlichen Vorgehens grundsätzlich zu bestreiten, will die Kritische Theorie die Partikularisierung der Erkenntnis und die Isolierung der Erkenntnisgegenstände in der Reflexion des beiden gemeinsamen geschichtlich-gesellschaftlichen Gesamtzusammenhangs aufheben.
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3.[V46:349] Die wissenschaftlichen Methoden verselbständigen sich gegenüber ihrem Gegenstand und vereinheitlichen sich nach dem Muster naturwissenschaftlichen Vorgehens. |B 47|Demgegenüber fordert die Kritische Theorie, daß die Methoden der Gesellschaftswissenschaften dem praktisch-geschichtlichen Charakter ihrer Erkenntnisgegenstände entsprechen.
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4.[V46:350] Es wird von der Wissenschaft Wertfreiheit gefordert. Aus der Einsicht in die unausweichliche Interessengebundenheit von menschlicher Erkenntnis erhebt die Kritische Theorie demgegenüberdie Begründung gesellschaftlicher Parteinahme und damit die Begründung von Wertentscheidungenzum Gegenstand ihrer theoretischen Reflexion.
3.3 Erkenntniskritischer Aspekt
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1.[V46:433] daß z.B. dem Erzeihungswissenschaftler diese Abhängigkeit vom Gesamtzustand der Gesellschaft, in der er lebt, und von dem sozialen Ort, an dem er arbeitet, bewußt sein sollte. – Für die Pädagogik könnte dies beispielsweise bedeuten, daß der Erziehungswissenschaftler, der |B 48|einen Leistungstest konstruiert, wissen sollte, wie überhaupt geschichtlich das Interesse an so etwas wie“Leistungstests”entstanden ist (Genesis) und welche sowohl individuellen als auch gesellschaftlichen Folgeerscheinungen mit der Verwendung solcher Tests verbunden sind (Wirkung);
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2.[V46:434] daß er die wissenschaftliche Arbeitsteilung in eine Vielzahl von Fachwissenschaftren als eine historisch erzeugte Sektionierung (“Klassifikation”) daes Wissens zu begreifen sucht und sich klar macht, welche gesellschaftliche Bedeutung das hat; also z.B. die Frage, wie und warum überhaupt so etwas wie“Pädagogik”als eine Einzelwissenschaft entstanden ist und welche Bedeutung darin liegt, daß häufig“Pädagogik”nur noch eine lockere Addition von Erziehungssoziologie und pädagogischer Psychologie ist;
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3.[V46:435] daß der Erziehungswissenschaftler sich fragt, inwiefern er mit der Wahl seiner Forschungsmethoden auch seinen Forsehungsgegenstand“konstituiert”und inwiefern (mit welchen Gründen) eine solche“Konstitution”dem entspricht, was Erziehung als eine gesellschaftliche Praxis ist;
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4.[V46:436] daß er sich zum Bewußtsein bringt, welche Art von Erziehungs- bzw. Unterrichtspraxis durch seine wissenschaftliche Tätigkeit gefördert, welche gesellschaftlichen Gruppen und Kräfte dadurch unterstützt werden und mit welchen Gründen er solche Parteinahme will.
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1.[V46:441] Die neuzeitliche Wissenschaft, insbesondere aber der naturwissenschaftliche Typus des Denkens, habe eine Neigung, sich als von der gesellschaftlichen Praxis (besonders der materiellen Produktion)“abgelöste Sphäre”zu betrachten.
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2.[V46:442] Dieses Selbstverständnis führe dazu, daß über“die reale gesellschaftliche Funktion”der Wissenschaft, darüber“was Theorie in der menschlichen Existenz”bedeutet, nicht gründlich nachgedacht werde.
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3.[V46:443] Das wiederum habe zur Folge, daß sie, ohne es zu merken, den historischen Stand“der Art und Weise, wie sich die Gesellschaft mit der Natur auseinandersetzt”(mit äußerer und innerer Natur),“in ihrer gegebenen Form erhält”. D.h.: die Wissenschaft, versteht sie sich in dieser Weise, wirkt nicht als Kraft zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse in Richtung auf immer bessere, gerechtere, sondern bekräftigt den Zustand, den sie vorfindet (ist“affirmativ”).
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–[V46:447] Wieso erfordert das Bewußtsein von der Beschränktheit der eigenen wissenschaflichen Tätigkeit eine andere Art von Theorie?
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–[V46:448] Wie kann man wissen, daß ein Wissenschaftler, der das Verhältnis seiner wissenschaftlichen Tätigkeit zur gesellschaftlichen Praxis bedenkt, eher in der Lage ist, wahre Sätze zu formulieren als jener andere?
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–[V46:449] Inwiefern hat solches Bedenken zur Folge, daß die Theorie, deren sich der Wissenschaftler bedient, nicht nur neue Gegenstände aufnimmt, sondern ihren“Begriff”weiterentwickelt, also doch wohl andersartig wird?
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–[V46:460] Die Sachverhalte, denen der“kritische”Wissenschaftler sich zuwendet, verlieren für ihn den“Charakter bloßer Tatsächlichkeit”(S. 30)
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–[V46:461] Da die Sachverhalte, so wie sie durch die herrschende Form der materiellen Produktion hervorgebracht werden,“Objektivität”suggerieren, d.h. da in der Gesellschaft eine Neigung besteht, derartige Sachverhalte als nicht änderbar anzusehen,“ist das kritische Denken durch den Versuch motiviert, über (diese) Spannung real hinauszugelangen”(S. 30)“Staatsbürger”betätigt, andererseits als uninteressierter Wissenschaftler, sondern so, daß diese politische Verantwortlichkeit Teil auch seiner wissenschaftlichen Tätigkeit ist.
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–[V46:462] Das Ziel des“kritischen”Denkens ist“vor allem die Idee einer vernünftigen, der Allgemeinheit entsprechenden gesellschaftlichen Organisation”(S. 32)“äußerlich”bleiben, gar nicht recht ins Auge fassen, weil er ja immer nur mit isolierten Forschungsobjekten sich auseinandersetze, nicht aber mit dem widerspruchsvollen gesellschaftlichen Ganzen; es gehöre deshalb“ein bestimmtes Interesse dazu, diese Tendenzen zu erfahren und wahrzunehmen”(S. 32)
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–[V46:463] Dieses Interesse wird nur dort“notwendig erzeugt”, wo der Widerspruch zwischen den bürgerlichen Idealen und der materiellen Situation täglich erfahren wird. Das sei vor allem im Proletariat der Fall. Der Wissenschaftler muß zwar das dort täglich erzeugte Interesse in sein Denken aufnehmen; da er nur kraft der Teilung der Arbeit in Hand- und Kopfarbeit als Wissenschaftler existiert, ergibt sich für ihn dieses Interesse nicht |B 53|mit Notwendigkeit; er muß es erst für sich bilden und zwar in der Auseinandersetzung mit dem widerspruchsvollen gesellschaftlichen Ganzen und seinem Ort darin.
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–[V46:464] Dieses Interesse kann nur in Auseinandersetzung mit dem zukünftig Möglichen gebildet werden; jedenfalls aber nicht dadurch, daß der“kritische”Gelehrte einfach Partei nimmt für diejenigen, bei denen in aktueller Gestalt das Interesse an gerechteren Zuständen“notwendig erzeugt wird”:“Auch die Situation des Proletariats bildet in dieser Gesellschaft keine Garantie der richtigen Erkenntnis”“Idee einer vernünftigen ... gesellschaftlichen Organisation”also, nicht auch gegen aktuelle geschichtliche Bewegungen geltend machen würde, sondern seine“Richtschnur von Gedanken und Stimmungen der Masse bezöge, geriete selbst in sklavische Abhängigkeit vom Bestehenden”(S. 33)
4. Resümee: Fragen an die Pädagogik
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1.[V46:494] Kinder kommen mit einer biologisch beschreibbaren Ausstattung ihres Organismus zur Welt. Andererseits ist ihr Bildungsprozeß sowohl als eine Ausformung dieser Ausstattung wie auch als Lern- und Umlernprozeß bestimmbar. Die Pädagogik drückt diesen Sachverhalt mit dem Begriff“Bildsamkeit”aus. Der Kritischen Theorie können wir die Aufforderung entnehmen, den Sachverhalt der“Bildsamkeit”nicht nur als naturwüchsigen Zusammenhang betrachten, als Entfaltung eingeborener Anlagen zu begreifen, sondern als ein Produkt gesellschaftlich-menschlicher Tätigkeit, die den Bildungsprozeß des Einzelnen formt. Der Bildungsprozeß in seiner aktiven Dimension ist zugleich selbst wieder gesellschaftlich-menschliche Tätigkeit, und insofern enthält er die Aufforderung zur Selbstbestimmung..
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2.[V46:495] Wo die bürgerliche Pädagogik das Erziehungs- und Bildungsziel in seiner allgemeinsten Form zu beschreiben versuchte, sprach sie von der Mündigkeit. Die Kritische Theorie verlangt hier eine Präzisierung. Einerseits muß ermittelt werden, was aus der Tatsache folgt, daß“Mündigkeit”eine normative Kategorie ist, die historisch der bürgerlichen Gesellschaft zugehört. Die Anforderung an eine Kritische Theorie der Erziehung |B 56|läge darin, dieses Bildungsziel in seiner Historizität ideologiekritisch zu bedenken, andererseits den Wunsch nach Selbstbestimmung als geschichtspraktische Antizipation eines zu erreichenden Zustands, der über die bürgerliche Gesellschaft hinausweist, aufzunehmen. Wiehätte aberdie Pädagogik mit dieser Forderung umzugehen, da sie selbst auch immer nur einen Teilbereich gesellschaftlicher Praxis repräsentiert?
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3.[V46:496] Die Kritische Theorie verlangt wom Wissenschaftler wie vom Bürger überhaupt, daß sie sich zu dem gegebenen historischen Bestand an Institutionen, Werten, Vorstellungen, Gewohnheiten in eine kritische Distanz setzen, d.h. diese nicht als unveränderbare Fakten akzeptieren, sondern sie unter dem Gesichtspunkt ihrer Änderbarkeit betrachten. Für den Erziehungsvorgang nun ist wesentlich, daß das Kind, um sich bilden zu können, mit dem historisch gegebenen kulturellen Bestand vertraut gemacht wird. Wie der Künstler auf das historisch produzierte Material der von ihm verwendeten Medien angewiesen ist, um Neues zu“montieren”, so ist das Kind auf die Aneignung jener Kompetenzen angewiesen, die die Beteiligung als Gesellschaftsmitglied überhaupt erst möglich machen. Zugleich aber müßte es – nach den Postulaten der Kritischen Theorie – lernen, sich jenem kulturellen Material gegenüber distanziert zu verhalten, um sich produktiv, auf das zukünftig Neue hin, mit seiner Gegenwart auseinandersetzen zu können. Ist dieses Problem innerhalb einer pädagogischen Theorie lösbar?
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4.[V46:497] Und schließlich: Folgt man den Grundannahmen der Kritischen Theorie, dann muß jede Lebensäußerung als Moment des ganzen gesellschaftlichen Zusammenhanges in einer besonderen geschichtlichen Situation betrachtet werden, im Falle der gegenwärtigen Form der bürgerlichen Gesellschaft besonders als Moment der kapitalistischen Ökonomie. Für die Erziehungswissenschaft sind damit mindestens zwei Fragen aufgeworfen, die sich aus der erkenntnistheoretischen Position der Kritischen Theorie ergeben: Was folgt aus der Annahme, daß auch der, der über Erziehung (wissenschaftlich) nachdenkt, durch die Begriffe, Verfahren und“wahrnehmenden Organe”an den geschichtlichen Zusammenhang gebunden ist, den er erkennen will; und was folgt aus der Annahme, daß auch der Gegenstand des Erkennens – die Erziehung nämlich in allen ihren Ausprägungen – Moment des gleichen Zusammenhanges ist? Was folgt daraus für die Wahl, die der Erziehungswissenschaftler für seine Themen und die Wahl, die er hinsichtlich seiner Methoden zu treffen hätte?
Glossar zum Gesamtkurs
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affirmativ[V46:123] Vorhandene Einstellungen, Vorstellungen, Handlungsmuster, u.a. verstärkend, bekräftigend.
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Antizipation (antizipatorisch)[V46:124] die Vorwegnahme von für die Zukunft erwarteten oder gewünschten Ereignissen und Vorstellungen.
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Bildungsprozeß[V46:125] Das Insgesamt von Erfahrungen und Lernschritten, durch welche das Subjekt eine für es selbst und andere verstehbare Gestalt erwirbt.
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Chancen-Struktur[V46:126] Das ist der Zusammenhang von gesellschaftlich vorgeformten Lebensmöglichkeiten, der einem Individuum aufgrund seiner sozialen Situation seines Bildungsstandes, seiner Lernfähigkeit offensteht. Dem korrespondiert eine subjektive Komponente: das, was das Individuum, seine Chancen einschätzend, für sich selbst tatsächlich erwartet oder aus seiner Erwartung ausschließt.
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Deduktion (deduziert)[V46:127] Die Ableitung von Begriffen, Sätzen, Hypothesen aus einer vorgegebenen Theorie.
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Desymbolisierung[V46:128] Der Vorgang, durch den ein Symbol (z.B. ein Wort) seine allgemein geteilte Bedeutung verliert, sei es, daß es zum Bestandteil einer (z.B. neurotisch verformten)“Privatsprache”wird, sei es, weil der Benutzer des Symbols (der Sprecher) die Bedeutung nicht mehr durch seine Erfahrung auffüllen kann (Klischee).
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Devianz[V46:129] In den Sozialwissenschaften gebrauchter Terminus, der alle Formen sozialer Abweichung zusammenfaßt. Darunter fallen auch biologisch, psychiatrisch und psychologisch definierte Abweichungen (Anormalitäten) insofern, als ihre Definition und Behandlung auf gesellschaftlich vermittelte, historisch veränderliche Klassifikationen und Weltbilder zurückgehen.
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Dimension[V46:130] Gegenstände empirischer Forschung sind in der Regel (in der Sozialwissenschaft) derart komplex, daß sie, um genau erforscht werden zu können, zergliedert werden müssen, auch wenn sie der alltäglichen Erfahrung als ein unteilbares Ganzes erscheinen. Solche Dimensionen müssen so konstruiert sein, daß sie getrennt voneinander beobachtbar (oder in einem Fragebogen durch verschiedene Fragen abfragbar) sind. Beispiel: Das Verhalten eines Kindes beim Spiel – obwohl ein ganzheitlicher Handlungsverlauf – läßt sich gliedern in die Dimension Spielabsicht, Motorik, sprachliche Äußerungen, nichtsprachliche Signale usw.
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Disposition (psychische)[V46:131] Ein Zusammenhang von erworbenen und/oder angeborenen Merkmalen des Organismus und seiner psychischen Ausstattung, die eine Vorhersage des Verhaltens in bestimmten Wahrscheinlichkeitsgrenzen gestatten (dazu kann z.B. das Intelligenzniveau, die affektive Grundstimmung, die Folgebereitschaft für Autoritäten, die Kenntnis verhaltensrelevanter Sachverhalte, Art und Ausmaß sprachlicher Fähigkeiten gehören).
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Diskurs[V46:132] Die Form der Verständigung, in der die im kommunikativen Handeln naiv unterstellte Legitimität von Geltungsan sprüchen, vor allem die des Anspruchs auf Wahrheit von Aussagen und die der Richtigkeit von Handlungsnormen problematisiert, begründet und argumentativ überprüft werden. Das Ziel eines Diskurses ist die Herbeiführung eines Einverständnisses.
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dogmatisch[V46:133] Ein Standpunkt, der davon ausgeht, daß für wesentlich gehaltene Behauptungen (Theorien) nicht in Frage gestellt werden können oder dürfen, d.h. der den grundsätzlich hypothetischen Status theoretischer Sätze leugnet.
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Ego/Alter[V46:134] Ego = Ich, Alter = der Andere. Diese Bezeichnungen für die Partner einer Interaktion werden gewählt, um deutlich zu machen, daß es sich in interpersonellen Situationen immer um die Verschränkung von Perspektiven handelt: jeder sieht gleichsam“die anderen”(Alter) von seinem“Ich”(Ego) her und sieht auch sein“Ich”von diesem“anderen”her.
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Emanzipation (emanzipiert)[V46:135] Befreiung von Zwängen (Herrschaftsverhältnissen, Vorurteilen, Ideologien), die geschichtlich entstanden sind und infolgedessen auch durch weitere geschichtliche Prozesse wiederum abgeschafft werden können.
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Erkenntnisinteresse[V46:136] Die Richtung, die die theoretische Aufmerksamkeit nimmt (auf bestimmte Gegenstände, Probleme, praktische Fragen), die die Bevorzugung bestimmter Modelle und wissenschaftlicher Verfahren der Erkenntnisgewinnung zur Folge hat.
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Geisteswissenschaftliche Pädagogik[V46:137] Eine Richtung der Erziehungswissenschaft, die im Anschluß an das Verstehen der historischen Zusammenhänge, innerhalb deren Erziehung geschieht, und der Ausdrucksformen, deren sich die pädagogische Praxis bedient, zur Aufgabe macht; das wesentliche Erkenntnisinstrument war dabei das Interpretieren von Texten (Hermeneutik). Wichtigste Vertreter: , , , .
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Generative Grammatik[V46:138] Wer eine natürliche Sprache spricht, ist in der Lage, beliebige neue Sätze zu erzeugen (generieren) und nie zuvor gehörte Äußerungen zu verstehen. Wie ist dies möglich? Die Antwort auf diese Frage versucht die generative Grammatik. Nach , der sie entwickelt hat, verdankt sich der produktive Sprachgebrauch am Ende einer allgemeinen, universalen Sprachkompetenz, über die jeder verfügt. Sie ist nicht erworben, sondern angeboren. Die universale angeborene Kompetenz enthält das Reservoir möglicher grammatischer Regelsysteme und zugleich die Prinzipien, nach denen jeder einzelne daraus im Verlauf des Spracherwerbs auf der Basis defekter und beschränkter Daten seine spezielle Grammatik erwählt. Die angeborene Kompetenz sichert und bestimmt unter den Sprachspielbedingungen des jeweiligen Sozialisationsprozesses den sukzessiven Aufbau einer empirisch geeigneten Grammatik,die dann ihrerseits als festes System generativer Regeln (Erzeugungsregeln) Produktion und Verständnis einer potentiell unendlichen Anzahl nie gehörter und gleichwohl wohlgeformter Sätze ermöglicht.
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Hermeneutik[V46:139] Im Gegensatz zum Erklären gesetzmäßiger Zusammenhänge,wie sie den Naturwissenschaften zugrundeliegen, ist Hermeneutik das nachvollziehende Erfassen fremder Sinnformen durch Auslegung von Texten, Dokumenten, Äußerungen etc. Erfahrungsgrundlage der Hermeneutik sind also sprachlich vermittelte Interaktionen zwischen handelnden Subjekten und die darin zur Anwendung und zum Ausdruck kommenden Sinnorientierungen. Die klassische Hermeneutik strebte an, durch das Hineinversetzen in die historische Situation des Sprechers, Autors etc. diesen besser zu verstehen als er sich selbst verstehen kann.
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heteronom[V46:140] Einer Sache, um die es geht, fremder Bestimmung bzw. fremdem Gesetz folgend.
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Historisches Bewußtsein[V46:141] Eine Form des Bewußtseins, zu der es gehört, daß die eigene Erfahrung, das eigene Handeln und Denken als etwas begriffen wird, das in der geschichtlich besonderen Lage wurzelt, in der das Subjekt dieses Bewußtseins sich befindet. Dazu gehört die Fähigkeit, diese Lage als das Ergebnis eines geschichtlichen Prozesses zu begreifen.
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Historizität[V46:142] Die Geschichtlichkeit eines Gegenstandes, d.h. daß er sowohl geschichtlich entstanden ist, wie auch in der weiteren Geschichte verändert werden kann.
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Ich-Identität[V46:143] Die besondere Art und Weise, in der es einem Individuum gelingt, eine Balance herzustellen zwischen den verschiedenen und bisweilen sogar widersprüchlichen Erwartungen, denen es sich gegenübersieht auf der einen Seite und seinen eigenen Wünschen und Plänen auf der anderen Seite. Das Besondere an dieser Balance ist ihr reflexiver Charakter. Auf dem Niveau der Ich-Identität ist das Subjekt in der Lage, die Erwartungen der anderen genauso wie seine eigenen Pläne und Wünsche zu reflektieren und im Akt der Reflexion ihre Berechtigung argumentativ zu überprüfen.
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Ideologie[V46:144]Von wird dieser Begriff gebraucht, um die Abhängigkeit des Denkens von der Lebenssituation zu beschreiben. Das Bewußtsein kann im Hinblick auf das analytische Durchdringen der gesellschaftlichen Situation‘falsch’'ein, wobei sich das spezifisch‘Falsche’als Folge historisch-gesellschaftlicher Vorgänge oder Zustände erweist und das Problem der Wahrnehmung gesellschaftlicher Komplexität betrifft. Im übrigen wird der Begriff auf unterschiedliche Weise von den verschiedenen Autoren benutzt.Bisweilen auch wird I. ein Zusammenhang von Behauptungen genannt, deren Überprüfung zwar prinzipiell kein Widerstand entgegengesetzt wird, deren Gültigkeit jedoch zum Zeitpunkt der Äußerung keiner Prüfung unterworfen werden kann, ihre mögliche Wahrheit offen bleiben muß (z.B.“Gott wird uns dermaleinst für unsere Sünden strafen”, oder“Wenn alle Menschen dem Postulat der Selbstbestimmung folgen werden, wird sich das Leiden der Menschen verringern”).
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Identität[V46:145] Die vom Individuum für die Beteiligung an gemeinsamem Handeln und Kommunikation zu erbringende Leistung der Selbstinterpretation und Selbstdarstellung. Identität ist kein starres Selbstbild, sondern eine Interpretation, in der unter Berücksichtigung der eigenen Biographie und der gegenwärtigen Handlungssituation ein sinnhafter Zusammenhang zwischen den Ereignissen und Erfahrungen im Leben eines Individuums hergestellt wird. In seiner Identität stellt sich das Individuum durch allen Wandel hindurch als“identisch”mit sich selbst dar.
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Implementation[V46:146] Alle Maßnahmen, die zur Einführung eines ausgearbeiteten Curriculums in das bestehende Schul- und Unterrichtssystem dienen.
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Interaktionskompetenz[V46:147] Die Fähigkeit des Subjekts, an Interaktionen teilzunehmen. Weil diese Fähigkeit bei keinem Individuum von Anfang an in vollem Umfang schon vorhanden ist, kann man von einer Entwicklung der Interaktionskompetenz sprechen. Auf der fortgeschrittensten Stufe in der Entwicklung der Interaktionskompetenz sind die Interaktionsregeln, denen das Subjekt folgt, das Ergebnis einer rationalen und gewaltfreien Übereinkunft mit seinen Interaktionspartnern. Die Interaktionskompetenz besteht dann in der Beherrschung von gemeinsamen Regeln, die in einer gleichberechtigten Diskussion mit anderen gefunden und begründet worden sind.
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intersubjektiv[V46:148] Verschiedenen Subjekten gemeinsam (z.B. Zeichen, deren Bedeutung von verschiedenen an einer Interaktion beteiligten Personen geteilt wird; Behauptungen, deren Geltung von verschiedenen Personen akzeptiert wird, usw.).
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Jugendhilfe[V46:149] So wird der Zusammenhang pädagogischer Einrichtungen und Maßnahmen genannt, der sich auf Bildungsprozesse und Erziehungsprobleme außerhalb der Institutionen des Bildungswesens bezieht, also vor allem: Jugendarbeit, Familienbildung, Heimerziehung, die Tätigkeit von Jugendämtern usw.. Die gesetzliche Grundlage für diesen Bereich des Erziehungssystems ist das Jugendhilferecht (gegenwärtig geltend das "Jugendwohlfahrtsgesetz)
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Kognitive Psychologie[V46:150] Gegenstand der kognitiven Psychologie sind die Erkenntnistätigkeiten (kognitive Operationen) des Subjekts und ihre Entwicklung. , der bedeutendste Vertreter der kognitiven Psychologie, beschreibt die Erkenntnistätigkeit als einen Vorgang der Assimilation und Akkomodation. Assimilation heißt die Anpassung der Wirklichkeit an die eigenen Operationspläne (kognitive Schemata) und Akkomodation die Anpassung der Pläne an die Wirklichkeit. Die kognitiven Schemata sind genauso Bedingung der Erkenntnis, wie der Gegenstand, auf den sie sich richten. In sehr detaillierten Untersuchungen versucht zu zeigen, wie im Verlauf der Entwicklung aus den einfachsten kognitiven Schemata der senomotorisehen Phase (z.B. dem Greifschema des Säuglings) über eine irreversible Stufenfolge immer umfassendere Systemstrukturen entstehen (z.B. der Begriff der Perspektive). Je umfassender generalisierter eine kognitive Struktur ist, desto stabiler ist sie auch. Mit jeder Entwicklungsstufe wird für das Subjekt die Bewältigung kognitiver Konflikte wahrscheinlicher. Die Untersuchungen der Genfer Gruppe um galten u.a. der |B 64|Entwicklung der Raumvorstellung, des Zeit-, Zahl- und Mengenbegriffs und der Entstehung der Symbolfunktion. Diese Untersuchungen sind in Amerika vor allem von aufgegriffen und weitergerührt worden.
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Kontext[V46:151] Der Zusammenhang von Ereignissen oder Erfahrungsinhalten, der zum Verständnis der Bedeutung eines Einzelereignisses herangezogen werden muß: der Satz ist der Kontext des einzelnen Wortes; die ganze Äußerung der Kontext des einzelnen Satzes; die pädagogische Situation (Mutter-Kind) der Kontext dieser Äußerung; die Familienstruktur der Kontext dieser Situation usw.
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Konstrukt[V46:152] Eine in theoretischer Arbeit entwickelte Vorstellung von einem Wirklichkeitsausschnitt (z.B.“Interaktion”,“Intelligenz”), das Ergebnis also der konstituierenden Tätigkeit des Verstandes, mit deren Hilfe wir versuchen, uns die“Wirklichkeit”verständlich zu machen. Der Ausdruck“Konstrukt”soll deutlich machen, daß wissenschaftliche Begriffe die Wirklichkeit nicht abbilden, sondern nur Versuche darstellen, auf kontrollierte Weise überhaupt etwas über sie aussagen zu können.
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Liberalismus[V46:153] Eine im 19. Jahrhundert im Zusammenhang mit der Entstehung des kapitalistischen Wirtschaftssystems entwickelte sozialtheoretische Position, deren wesentlichste Annahme darin bestand, daß der Gesellschaftsprozeß dann am vernünftigsten verlaufen werde, wenn die Bürger in ihrem Handeln (vor allem im Wirtschaftshandeln) unbeschränkt bleiben, der Staat auf Eingriffe verzichte und lediglich Schutzfunktionen gegen äußere (z.B. Krieg) und innere (z.B. Kriminalität) Bedrohungen ausübe.
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materialistisch[V46:154]
Ein theoretischer Standpunkt, in dem davon ausgegangen wird, daß alle sozialen Ereignisse nur zureichend erklärt werden können, wenn sie letzten Endes auf die der menschlichen Gattung eigentümliche Notwendigkeit zurückgeführt werden, daß der Mensch darauf angewiesen ist, seine materielle Existenz durch Arbeit zu sichern (historischer Materialismus). -
Objektivationen[V46:155]
Die vom Menschen produzierten, aber dann relativ unabhängig vom einzelnen bestehenden Gestalten, Institutionen, kulturellen Erscheinungen (z.B. Formen der Arbeit und Arbeitsteilung, soziale Einrichtungen, Texte, usw.). -
objektivistisch[V46:156]
Eine Betrachtungsweise sozialer Phänomene, nach der die Spontaneität des einzelnen Individuums keine wesentliche Rolle spielt und statt dessen menschliches Verhalten nur aus den sogenannten objektiv gegebenen Verhältnissen erklärt werden soll. - |B 65|
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Offene Curricula[V46:157] Im Unterschied zu den“geschlossenen Curricula”ist in den“offenen”weder der individuelle Lernverlauf samt seinem Ergebnis, noch die Tätigkeit des Lehrers durch Vorgabe detaillierter Lernsequenzen determiniert. Das Interesse der offenen Curricula ist die Entfaltung von Kreativität. Dieses Interesse verbietet eine rigide Vorausplanung und damit Normierung und Kanalisierung des Unterrichtsprozesses. Dennoch wird auf Planung nicht verzichtet. Aber Planung und Durchführung sind nicht mehr institutionell scharf voneinander geschieden. Beim offenen Curriculum sind Lehrer wie Schüler an der Planung des Unterrichts genauso beteiligt wie an seiner Durchführung.
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Operationalisierung[V46:158]
Die Angabe von Verfahren, mit dem theoretische Begriffe (Konzepte) eines empirisch zu untersuchenden Gegenstandes mit den zu beobachtenden Merkmalen dieses Gegenstandes verknüpft werden. -
Paradigma[V46:159]
Der charakteristische Zusammenhang von Begriffen/Theorie und Methoden, in dem zugleich festgesetzt wird, was als sinnvoller Gegenstand der Erkenntnis gelten soll und auf welche Weise Behauptungen über denselben überprüft werden können (z.B. das Paradigma einer mythologischen Erklärung des Kosmos, das Paradigma einer erfahrungswissenschaftlichen Erklärung des Kosmos). -
Praxis[V46:160]
Das zielorientierte Handeln des Menschen (im Unterschied zu Akten des Erkennens) einschließlich der Verständigung über diejenigen Ziele (Normen, Werte), die für das Handeln Geltung beanspruchen sollen. -
Prognose[V46:161]
Ein Typus theoretischer Sätze, in denen Behauptungen über die Zukunft formuliert werden, auf der Grundlage gemachter Erfahrungen. -
Psychoanalytische Begriffe[V46:162] (Die folgenden Erläuterungen lehnen sich an das“Vokabular der Psychoanalyse”von J. Laplanche und J.P. Pontalis, Frankfurt/M. 1973 an).
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Es – Ich – Über-Ich[V46:163] Zentrale Termini der sogenannten“Strukturhypothese”über die Organisation des seelischen Apparates. In diesen drei Instanzen sind Gruppen von psychischen Inhalten und Prozessen zusammengefaßt, die jeweils unterschiedliche Funktionen der Persönlichkeit wahrnehmen.
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Es[V46:164] Psychische Repräsentanz von (organisch fundierten) Primärbetrieben, Bereich des Unbewußten. Es ist frei von Formen und Prinzipien,.die das bewußte soziale Individuum ausmachen, vor allem frei von Wertungen und Moral, der Unterscheidung von Gut und Böse. Es hat nur das Bestreben, den Triebbedürfnissen lustvolle Befriedigung zu verschaffen. Man muß annehmen, daß zum Zeitpunkt der Geburt das Es den gesamten psychischen Apparat umfaßt, aus dem sich erst im Verlauf der Entwicklung das Ich und das über-Ich ausdifferenzieren.
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Ich[V46:165]“Vermittler”zwischen Es, Über-Ich und Außenwelt, das sich allmählich im Konflikt mit der Umwelt herausbildet. Seine Hauptfunktion besteht in der Koordinierung, Abwandlung, Organisierung und Steuerung der Triebimpulse des Es, um Konflikte mit der Realität zu mildern. Damit übernimmt es zugleich die Funktion der Selbsterhaltung gegenüber dem Es, das in seinem blinden Streben nach Triebbefriedigung zur Daseinsvernichtung führen würde.
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Über-Ich[V46:166] Psychische Repräsentanz der geltenden Moralgesetze, sozialen Normen und Ideale. Seine Rolle ist vergleichbar mit der eines Richters oder Zensors. Seine Funktionen liegen in der Selbstkontrolle, dem Gewissen und der Idealbildung. Der Ursprung des Über-Ichs liegt in der langen Abhängigkeit des Kindes von seinen Eltern. Die Einschränkungen, Gebote und Verbote, die dem Kind anfänglich von den Eltern und weiterhin von anderen Vertretern der Gesellschaft von“außen”auferlegt werden, werden vom Kind verinnerlicht und zum eigenen“Gewissen”.
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Abwehr
Abwehrmechanismen[V46:167] Funktionen des Ich, mittels derer die Integrität und die Konstanz der psychischen Organisation gegen Bedrohungen von innen und außen geschützt wird. Die Abwehr kann sich gegen unerwünschte (tabuisierte und/oder mit Realitätsforderungen unvereinbare) Triebregungen, gegen das Über-Ich, sofern von ihm unerträgliche Schuldgefühle oder Bestrafungsängste ausgehen, schließlich auch gegen identitätsbedrohende Aspekte der Außenwelt richten. Die Psychoanalyse unterscheidet zwischen verschiedenen psychischen Operationen, die der Abwehr dienen, z.B. Verdrängung, Projektion, Identifikation mit dem Angreifer, Rationalisierung usw. -
Identifikation
Identifizierung[V46:168] Psychischer Vorgang, bei dem das Individuum sich Eigenschaften, Qualitäten, Erwartungen (auch Gebote und Verbote) eines anderen zu eigen macht und dadurch unbewußt dessen Stelle einnimmt,“wird wie der andere”. In der Identifikation mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil sieht die Psychoanalyse die“normale”Auflösung des Ödipuskompleyes. -
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Libido[V46:169] Psychische Energie, die mit dem Sexualtrieb verbunden ist.
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Masochismus[V46:170]
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a)Sexuelle Perversion, bei der die sexuelle Befriedigung an das Leiden oder die Demütigung, die das Subjekt erduldet, geknüpft ist.
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b)allgemeiner: eine – nicht manifest sexuelle – Befriedigungsform, die auf dem Beherrschtwerden durch Stärkere basiert. Dazu gehört auch der“moralische Masochismus”, in dem das Subjekt aufgrund unbewußter Schuldgefühle sich in die Position des Opfers begibt. (In unserem Text wird der Begriff in diesem allgemeineren Sinn verwendet).
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Narzißmus[V46:171]Die Liebe, die man dem Bild von sich selbst entgegenbringt.
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a)primärer Narzißmus: ein früher Zustand, in dem das Kleinkind sich selbst mit seiner ganzen Libido besetzt.
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b)sekundärer Narzißmus: in späteren Entwicklungsstadien ein psychischer Vorgang, in dem die inzwischen auf fremde Objekte gerichtete Libido auf das Selbst zurückgewandt wird.
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Projektion[V46:172] Psychische Abwehroperation, durch die das Subjekt Qualitäten, Gefühle, Wünsche usw., die es verkennt oder in sich ablehnt, aus sich ausschließt und in dem anderen (Person oder Sache) lokalisiert.
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Sadismus[V46:173] Befriedigungsform, die an das dem anderen zugefügte Leiden, an dessen Demütigung oder Unterwerfung gebunden ist.
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Reflexion[V46:174]
eine Art des Denkens, in der das Denken sich selbst und seine Bedingungen zum Gegenstand macht (Nachdenken über die Regeln des eigenen Denkens) -
Relativismus, relativistisch[V46:175] Eine geschichtsphilosophische Position, die von der prinzipiellen Gleichwertigkeit aller gesellschaftlichen Erscheinungen ausgeht. Die Wissenssoziologie untersucht in dieser Einstellung die gesellschaftlich vorfindlichen Wissensformen und Ideologien; wobei die Wissenschaft selber als eine Form gesellschaftlichen Wissens unter anderen behandelt wird.
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Sprechakte[V46:176] Sprechakte sind sprachliche Äußerungen in Redesituationen. Als sprachliche Äußerungen haben sie die Form von Sätzen und bringen als solche etwas zum Ausdruck. Durch ihre Verwendung in Redesituationen aber werden diese Sätze zugleich Handlungen und stellen als solche etwas her. Indem ich in einer aktuellen Gesprächssituation einem Kommunikationspartner gegenüber den Satz äußere:“Ich verspreche dir morgen zu kommen”, bringe ich nicht nur ein Versprechen zum Ausdruck, sondern ich gebe ein Versprechen. Die Äußerung ist das Versprechen, das sie auch darstellt. Durch ein solches Versprechen wird die Redesituation und mit ihr die Beziehung zwischen den Kommunikationspartnern verändert. Man kann sagen, das Versprechen hat für die Gesprächspartner eine neue Situation geschaffen. Was für das Versprechen gilt, gilt auch für alle anderen Sprechakte wie z.B. Behauptungen, Fragen, Befehle, Warnungen, Enthüllungen usw.: Sie erzeugen die Redesituation mit, in der sie geäußert werden.
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Telos[V46:177]
Das Ziel eines Denk- oder Handlungsvorganges; eine teleologische Betrachtung ist eine solche, die ein Ereignis von seinem Ziel her zu erklären versucht (Beispiel:“Warum hat X so gehandelt?”“Er hat so gehandelt, um das Ziel Z zu erreichen.”). -
Typus[V46:178] Ein theoretisches Konstrukt, das in reiner und eindeutiger Form nicht in der“Wirklichkeit”beobachtet werden kann. Es existiert nur in unseren Deutungen und Handlungen; mit seiner Hilfe suchen wir uns die Vielfalt der Erscheinungen verständlich und zugänglich zu machen. Interpretieren wir verschiedene Wahrnehmungen als ähnlich und finden wir, daß solche Ähnlichkeiten für unser Handeln bedeutungsvoller sind als andere, dann fassen wir sie zu einem Typus zusammen. Das geschieht im Alltagshandeln ununterbrochen (ein“typischer Italiener”, ein“typisches Landkind”usw.); der Unterschied zum wissenschaftlichen Gebrauch dieser Kategorie besteht darin, daß der Wissenschaftler bei der Konstruktion eines Typus methodisch nach kontrollierbaren Regeln verfährt und dem Anspruch zu genügen sucht, den objektiven Sinn der Wirklichkeit zu treffen.
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universal[V46:179]
Unter allen der Erfahrung prinzipiell zugänglichen Bedingungen geltend. -
Verabsolutierung[V46:180]
Eine Operation des Denkens, in der eine Behauptung, die nur relative bzw. beschränkte Geltung beanspruchen kann, so vorgetragen wird, als gelte für sie jene Einschränkung des Geltungsanspruches nicht. -
Verdinglichung[V46:181] Alles was wir wissen ist präformiert durch unser wahrnehmendes Organ. Die Wirklichkeit, der wir uns gegenübersehen, ist Produkt unserer Erkenntnis und als solches historisch und revidierbar. Dort, wo der historische Charakter unserer Erkenntnis geleugnet und die Begriffe und Vorstellungen einer möglichen Korrektur entzogen werden, sprechen wir von ihrer Verdinglichung.
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Weltanschauungspädagogik[V46:182]
Ein Typus pädagogischen Denkens, in dem die Sätze über Erziehung (z.B. Sätze über das“richtige”pädagogische Verhalten) aus Werten und Normen abgeleitet werden, die sich selbst wissenschaftlicher Kontrolle entziehen, durch eine weltanschauliche Entscheidung gesetzt sind. -
Wissenschaftstheorie[V46:183]
Der Zusammenhang von theoretischen Aussagen und wissenschaftlichen Verfahren, in denen die (methodologischen, geschichtlichen, gesellschaftlichen) Grundlagen der Wissenschaften einer kritischen Analyse unterzogen werden.